Warum Western?

Ich hatte mir gedacht, ich könnte einmal ein bisschen was darüber schreiben, warum ich nicht beim klassischen Reiten geblieben, sondern auf die Westernreitweise umgestiegen bin.

Als Jugendliche hatte ich über 10 Jahre lang regelmäßig klassischen Reitunterricht in einer Reitschule. Der Standardweg wäre dann sicherlich gewesen, von den Ponys auf Warmblüter umzusteigen und mich mehr in Richtung von Dressur oder Springen zu orientieren. Aber irgendwie fühlte ich mich dabei nicht wohl und fehl am Platz. Ich bin immer gerne Haflinger geritten, aber die Warmblutpferde waren mir deutlich zu groß. Gefühlt hat der klassische Reitsport eine steife Eleganz, mit der ich mich nie identifizieren konnte. Das ging bis zu der Art der Kleidung, ich mochte weder die engen Reithosen noch die kniehohen Stiefel noch die Tatsache, dass ich bei manchen Pferden sogar im Sommer Reithandschuhe tragen musste, um keine Blasen von den Zügeln zu bekommen. Nicht zuletzt hatte ich immer ein irgendwie ungutes Gefühl dabei, das Pferd so stark zu verschnallen, erst mit dem kombinierten Reithalfter und dann noch mit Ausbindern oder ähnlichem. Das heißt nicht, dass es mir nicht wichtig gewesen wäre, dass das Pferd mit den Hinterbeinen Gewicht aufnimmt, im Genick nachgibt und den Rücken hebt. Ich würde immer betonen, dass der Reiter, der seinem Pferd sein zusätzliches Gewicht zumutet, auch dafür die Verantwortung trägt, dass das Pferd dieses Gewicht ohne Fehlhaltungen und schädliche Belastungen tragen lernt. Es war mehr eine Frage des Weges als des Ziels.

So war dann langsam in mir die Erkenntnis gereift, dass ich vielleicht einfach einmal andere Reitweisen ausprobieren sollte. Ich kam also zum Westernreiten und blieb dabei. Im Folgenden werde ich einfach einmal die Aspekte auflisten, die ich an der Westernreitweise lieb gewonnen habe, und die für mich den Ausschlag gegeben haben, warum ich dann komplett auf diese Reitweise umgestiegen bin. Die Reihenfolge ist nicht durch die Wichtigkeit bedingt, sondern aus einer thematischen Logik heraus.

Der Westernsattel

Es gibt einige Vorteile, die offensichtlich sind, wenn man sich diese Sättel nur anschaut. Es gibt die große Auflagefläche der Arbeitssättel, die dafür gemacht sind, vom Pferd über längere Zeit getragen zu werden. Die großen Steigbügel, die man auch mit etwas gröberen Schuhen nutzen kann und die Abwesenheit von dünnen Steigbügelriemen, zwischen denen man sich die Oberschenkel einklemmen kann. Aber der eigentliche Vorteil dieser Sättel ist, dass sie einen grundsätzlich anders auf das Pferd setzen als klassische Sättel. Der Sattelbaum ist so konstruiert, dass der tiefste Punkt des Sattels so nahe wie möglich am Rücken des Pferdes liegt. Wenn man Westernsättel gewohnt ist, hat man bei klassischen Sätteln häufig das Gefühl, als würde man „hoch über“ dem Pferd thronen. Diese wenigen Zentimeter, die der Reiter dadurch mit seinem Schwerpunkt dem Pferd näher kommt in Verbindung mit dem vergleichsweise höheren Bau des Sattels vor und hinter der Sitzfläche sorgen in der Bewegung für einen gefühlt stabileren und sicheren Sitz. Gleichzeitig ist die Sitzfläche so gebaut, dass sie der Reiterin oder dem Reiter mehr Bewegungsspielraum in der Hüfte ermöglicht. Dies wird deutlich verstärkt durch die Abwesenheit von Kniepolstern. Meine Trainerin sagte mir in meinen ersten Reitstunden im Westernsattel immer, ich solle mir vorstellen, ich säße wie ein Frosch auf dem Pferd. Die Waden sind am Pferd, die Knie zeigen wie bei dem Frosch irgendwo in die Weltgeschichte, die Hüfte ist wieder am Pferd. Für Menschen, denen man in der Reitschule mal so etwas wie „Knieschluss“ beigebracht hat, ist das eine Umgewöhnung. Der Hintergedanke ist aber, wenn die Knie in ihrer Position blockiert sind, so sind es auch die Oberschenkel. Und wenn die Oberschenkel blockiert sind, so wird man mit der Hüfte weder locker in der Bewegung des Pferdes mitgehen, noch saubere Gewichtshilfen geben. Und damit bin ich bei meinem nächsten Punkt.

Die Gewichtshilfe bestimmt alles weitere

Meine erste Stunde auf einem Westernpferd war… herausfordernd. Ein bisschen, als hätte ich mich in ein Auto gesetzt, das von seiner Bedienung her so anders ist als alles bekannte, dass erst einmal nichts mehr so funktionierte, wie man es mit über 10 Jahren Reiterfahrung erwartet. Dabei ist vieles an der Hilfengebung gar nicht so grundverschieden. Mein Hauptproblem war, dass in meiner bisherigen klassischen Reitschule das Thema Gewichtshilfen nie wirklich sauber behandelt wurde. Wenn ich das Pferd zu einer Seite abwenden wollte, so war ich es gewohnt, den Oberkörper leicht in diese Richtung zu drehen. Dabei belastete ich aber unbewusst den äußeren Sitzbeinhöcker, und das Westernpferd trat zuverlässig unter das Reitergewicht und wendete somit genau in die andere Richtung. Ich weiß nicht, wie häufig ich in dieser ersten Reitstunde die Anweisung „innere Schulter vor“ hörte, muscle memory ist einfach furchtbar umzulernen.

Beim Westernreiten hängt alles immer von der Gewichtshilfe ab. Klopft man mit den Waden gegen den Pferdebauch, so sieht es dies als Zeichen, den Kopf zu senken. Erst in Verbindung mit einem Heben des eigenen Brustkorbes und damit einer Gewichtsverlagerung nach vorne wird daraus eine treibende Hilfe. Zieht man an einem Zügel, so beeinflusst dies die Stellung des Pferdehalses und Kopfes zu einer Seite. Erst in Verbindung mit einer deutlichen Belastung des inneren Sitzbeinhöckers wendet das Pferd zur Seite ab. Und wenn man die Zügel aufnimmt bedeutet dies, dass das Pferd im Genick nachgeben soll. Erst wenn man gleichzeitig mit der Hüfte die Bewegung verlangsamt bzw. sich auf die hinteren Hosentaschen setzt und so das mitgehen in der Bewegung komplett blockiert ist dies ein Zeichen des Stoppens. Von daher kommt man im Westernreiten mit sauberen Gewichtshilfen sehr weit. Ohne diese keinen einzigen Schritt. Aber wenn man einmal den Dreh raus hat liegt in dieser Fokussierung auf die Gewichtshilfe der Schlüssel für die Leichtigkeit und Zügelunabhängigkeit dieser Reitweise.

Signalreitweise

Ich denke, was diesen Punkt angeht, gibt es wahrscheinlich einige Graubereiche. Auch der Gelände- oder Distanzreiter wird keine konstant treibenden Hilfen nutzen, sondern sein Pferd selbständig vorwärts laufen lassen. Und auch unter Westernpferden gibt es die etwas fauleren Vertreter, die man ein bisschen regelmäßiger an das fleißige Vorwärtsgehen erinnern muss. Cody war zu ihren aktiveren Zeiten immer so eine Vertreterin der kraftsparenden und bloß nicht übertriebenen Vorwärtsbewegung. Mir gefällt aber der Grundgedanke, dass man das Pferd zu einer möglichst großen Selbständigkeit hin ausbildet, bei der es auf ein Signal hin z.B. so lange Trabt, bis man ihm ein anderes Signal gibt.

Ich denke, es gibt in Bezug auf diesen Punkt auch ein recht weit verbreitetes Missverständnis. Am stärksten ist die „konstante Hilfengebung“ im klassischen Reiten meiner Erfahrung nach ausgeprägt, wenn es darum geht, das Pferd „an die Hand heran zu reiten“. Also über konstant treibende Hilfen die Hinterbeine zu einem stärkeren Untertreten zu animieren, während gleichzeitig über Hand und Zügel verhindert wird, dass das zusätzliche Treiben einfach nur zu einem schnelleren Tempo führt. Gleichzeitig wird über die konstante Zügelanlehnung die Nachgiebigkeit im Genick erreicht. Mir sind einige Reiter begegnet, die von daher sagen, sie gehen mit einem Westernsattel ins Gelände und reiten da „Western“, aber wenn es darum geht, das Pferd auf dem Reitplatz zu gymnastizieren, dann reiten sie natürlich klassisch. Dabei ist es natürlich nicht so, dass ein Westernpferd nicht im Genick nachgibt, es gilt eben nur hier auch der Grundsatz der Signalreitweise. Man nimmt die Zügel auf, und in dem Moment, in dem das Pferd im Genick nachgibt löst man den Druck sofort auf. Und wenn die Nase des Pferdes wieder herauf kommt wiederholt man das Spiel. Ich würde es vielleicht so zusammen fassen, dass Westernreiter in ihrer Hilfengebung eher versuchen, sich zurück zu halten und nicht zu viel zu machen. Es steht stärker der Gedanke im Vordergrund, dass konstante Hilfen schnell zu einer Desensibilisierung oder Abstumpfung des Pferdes führen.

Wendigkeit und Versammlung

Im Vergleich zu Westernpferden habe ich, wenn ich klassisch ausgebildete Pferde reite, häufig das Gefühl, als würden diese wie auf Schienen laufen. Und ich erinnere mich, dass ich in meinen ersten Stunden auf einem Westernpferd überrascht war, wie leicht sich dieses mit der Schulter nach rechts oder links bewegen lässt und wie leicht es entsprechend auch auf der Hinterhand wendet. Diese Wendigkeit finde ich an Westernpferden unglaublich schön.

Mein Eindruck ist, dass im klassischen Reiten ein sehr starker Fokus auf der Vorwärtsbewegung liegt, wenn es um Gewichtsaufnahme der Hinterhand und Versammlung geht. Das gibt es im Westernreiten natürlich auch, aber es wird meiner Erfahrung nach anders ergänzt durch eine Verzahnung von „Schulung der Wendigkeit“ und „Förderung der Versammlung“. Denn natürlich wird ein Pferd sich nur dann mit Leichtigkeit in seiner Schulter zur Seite bewegen lassen, wenn es entsprechend viel Gewicht über seine Hinterbeine trägt.

Meine persönliche Erfahrung mit klassischem Reitunterricht lief so, dass die Reitlehrerin Anweisungen gegeben hat, und ich selbst habe nicht viel gesagt, sondern eigentlich nur versucht, die Anweisungen umzusetzen. Meine Westerntrainerin hat mir dann beigebracht, in einer deutlich größeren Vielfalt Vor- und Hinterhandwendungen, Innen- und Außenstellungen, Schulter herein und Seitengänge einzusetzen, zu kombinieren und zu verknüpfen. Im klassischen Reitunterricht wurde ziemlich ununterbrochen geritten. Meine Westernreitstunden waren dagegen immer wieder von Pausen durchzogen, während denen Cody entspannt da stand, und meine Trainerin im Dialog mit mir besprach, wie sich das Pferd in der jeweiligen Übung im Detail bewegt, an welchen Stellen es wie Last aufnimmt und welche gymnastizierenden Vorteile dies bedeutet. Das hat mir geholfen, Zusammenhänge besser zu verstehen, als es vorher in meiner „klassischen Zeit“ der Fall war und ein breiteres „reiterliches Repertoire“ zu entwickeln.

Pizzapause

Nach meinen ersten Stunden auf einem Westernpferd bot meine Trainerin ein Intensivwochenende an. Mit ein paar anderen Teilnehmerinnen saß ich also Vormittags zwei Stunden auf dem Pferd, dann gab es gemeinsames Mittagessen und nachmittags noch einmal zwei Stunden. Mitten in dieser recht intensiven Vormittagsphase gab es plötzlich einen lauten Ruf: „Ich muss die Pizzen vorbestellen, was wollt ihr? Hier sind die Karten.“ Also hielt ich mit den anderen Teilnehmerinnen mein Pferd an, legte die Zügel über das Sattelhorn und nahm die Speisekarte der lokalen Pizzeria entgegen. Und während ich so die verschiedenen Pizzabeläge studierte blickte ich zwischendurch mal zu meinem Pferd herunter, das absolut tiefenentspannt seine plötzliche Pause genoss und dachte mir dann so: „Ja, ihr seid schon echt cool.“

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