Freiarbeit

Irgendwann im März 2007. An einem der ersten warmen und sonnigen Tage des Jahres freute ich mich riesig, denn wir waren in Essen angekommen und uns stand ein ganzer Tag auf der Equitana bevor. Mein damaliger Freund und heutiger Mann hatte sich überreden lassen mit zu kommen, nachdem ich ihm wochenlang erzählt hatte, dass ich unbedingt am Westerntag auf die Equitana wollte. In dem Winter davor hatte ich mit dem Westernreiten angefangen, von daher hatte ich mir jetzt all die Westernprogrammpunkte heraus gesucht, die ich auf jeden Fall sehen wollte.

Aber wie es manchmal so kommt, war es am Ende des Tages ein ganz anderer Programmpunkt von einem mir bis dahin völlig unbekannten Trainer, an den ich mich bis heute erinnern kann und der den tiefsten Eindruck bei mir hinterlassen hat. In der Freiheitsdressur, die Honza Bláha mit seinem Pferd Gaston im großen Showring zeigte, war eine Harmonie und Leichtigkeit zu sehen, wie ich sie bis dahin nie zwischen Mensch und Pferd erlebt hatte. Als ich an dem Abend nach Hause fuhr hatte sich meine Vorstellung von dem, was an Verständigung zwischen Mensch und Pferd möglich ist und damit auch die Zielsetzung in dem, was ich reiterisch erreichen möchte ein gutes Stück weit verändert.

Die Jahre gingen ins Land und ich hatte mit Studium und Berufseinstieg an so einigen Fronten zu kämpfen. Aber wo immer sich mir die Möglichkeit bot, versuchte ich mehr zu lernen über das, was ich bei Honza Bláha gesehen hatte. Über eine Reitbeteiligung lernte ich das Trainingskonzept von Pat Parelli kennen. Später sagte mir eine andere Pferdebesitzerin, ich sollte mal im Internet nach Peer Claaßen suchen, so kam ich zu Begriffen wie dem „Natural Horsemanship“, den verschiedenen Trainern, die man im Kontext des „Mustang Makeover“ findet oder auch dem Trainingskonzept „Pro Ride Horsemanship“ von Thomas Günther, an dem ich mich selbst inzwischen in vielen Punkten orientiere.

Im Sommer 2021 suchte ich dann nach einem jungen Pferd und begegnete Mila. Ich sah eine junge Stute, die uns bei unserer aller ersten Begegnung freudig entgegen kam und sich überaus gerne begrüßen und kraulen ließ. Mit ihren damaligen Besitzern ging sie gerne mit, selbst als es ohne Führstrick über eine große Plane ging. Sie zeigte einfach eine unglaublich stark ausgeprägte Kombination aus Neugierde und Menschenbezogenheit. Da war sie dann wieder, die Erinnerung an diesen Auftritt von Honza Bláha, der schon so lange her war, und gleichzeitig das Gefühl, dass Mila das Pferd ist, mit dem ich auf dem Weg weit kommen kann.

Das war jetzt ein sehr langer Exkurs in meine Geschichte und Entwicklung, aber vielleicht hat er ein bisschen deutlicher gemacht, was mich motiviert und wo ich hin möchte. Mit Mila habe ich dann neben der Bodenarbeit am Seil recht schnell versucht, auch immer wieder Freiarbeitsphasen einzubauen. Der Anfang sah dann immer so aus, dass ich sie weg geschickt habe, wenn sie sich von mir abgewendet hatte. Wenn sie sich mir dagegen zu wendete, habe ich mich selbst abgewendet und ihr angeboten, mir zu folgen. Das Schöne daran ist, dass man aus dieser Übung ein sehr lockeres und zwangloses Spiel machen kann.

An Tagen, an denen ich das Ganze etwas ruhiger gestalten wollte habe ich dann mehr Wert auf die Phase des „ich gehe und Mila folgt mir“ gelegt, diese ausgebaut, Volten, Tempowechsel, Anhalten und Rückwärts eingebaut. Wenn Milas Aufmerksamkeit dann abhanden kam, so dass sie nicht mehr an meiner Schulter war, habe ich dann einfach das „weg schicken und Folgen anbieten“ wiederholt, bis wir zurück in der Übung waren.

An Tagen, an denen ich das Ganze weniger ruhig gestalten wollte habe ich mehr Augenmerk auf das „weg schicken“ gelegt mit der Zielsetzung, sie auf einem Zirkel um mich herum „longieren“ zu können, nur eben ohne Longe. Solche Tag waren jetzt im Winter sehr häufig, wenn Mila in der Stimmung war „ich habe so viel aufgestaute Energie, ich will ganz viel rennen und toben.“ Der Anfang war dann, dass ich Mila eine Richtung vorgegeben habe und Mila getestet hat, ob sie schnell genug ist, einfach mal die Richtung zu wechseln, oder ob ich sie davon abgehalten und im Zweifelsfall zurück gewendet bekomme. Das Spiel haben wir dann teilweise einige Male gespielt, je nach dem, wie viel Energie und Übermut Mila so gerade auf Lager hatte. Als Mila dann gemerkt hat, dass ich auch dann noch ihre Richtung vorgeben kann, wenn sie auf dem Reitplatz auf den anderen Zirkel abhaut, waren wir erstaunlich schnell an dem Punkt, wo sie recht zuverlässig auch ohne Abtrennung auf dem Zirkel um mich herum geblieben ist und ich Gangart und Tempo so vorgeben bzw. ich sie mit einem Fokussieren auf ihren Hintern so wenden konnte, wie wir es vorher mit Seil geübt hatten.

Diese Form der Freiarbeit mit Mila macht mir gerade jetzt im Winter sehr viel Spaß, weil sie sowohl Mila als auch mir recht viel Freiraum lässt und man das Ganze dadurch deutlich spielerischer gestalten kann, als es mit Knotenhalfter und Seil möglich ist. Man kann sie gerade im Winter nutzen, um nach einer Aufwärmphase einfach erst einmal aufgestaute Energie raus zu lassen. Und das vielleicht Wichtigste: Man gibt dem Pferd die Wahl, sich selbst für den Menschen zu entscheiden. Denn wenn das Pferd sich aus sich selbst heraus für das gemeinsame Spiel und die Interaktion mit dem Menschen entscheidet, dann kann man zusammen weit kommen.

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