Erster Ritt

Wer erinnert sich noch an seine aller ersten Fahrstunden? Wie hat sich das angefühlt? In der Theorie war es gar nicht so schwierig, man hatte schließlich verstanden, welches Pedal Gas und welches Bremse ist. Und der Ablauf „Kupplung treten, Gang einlegen, Kupplung kommen lassen“ ist prinzipiell auch überschaubar. Man ist ja vorbereitet. Aber wenn man es dann versucht, fühlt es sich an, als müsste man unendlich viel auf einmal machen. Jeder Handgriff und jede Bewegung müssen überlegt und bewusst ausgeführt werden, denn nichts funktioniert automatisch. Alles ist ungewohnt, deshalb kann man nirgends auf „muscle memory“ zurück greifen. Autofahren ist am Anfang unglaublich anstrengend, weil es so viel Konzentration erfordert. Ich denke, dies ist eine gute Analogie, um zu verstehen, wie es einem Pferd ergeht, wenn es die ersten Male geritten wird. Aber der Reihe nach…

Ich hatte alles getan, um Mila so gut es ging auf diesen Moment vorzubereiten. In der Bodenarbeit hatte sie Nachgeben auf Druck gelernt, Weichen der Vor-, Mittel- und Hinterhand inklusive der zugehörigen Schenkelpositionen, an der Longe hatten wir uns die Gangarten und ihre Übergänge erarbeitet. Die Zügelhilfen hatten wir an der Doppellonge und beim Fahren vom Boden vorbereitet, und sie kannte es auch bereits im Kontext der Desensibilisierung, dass ich mich immer mal wieder auf ihren Rücken gesetzt habe. Immer in entspannten Situationen und ohne etwas von ihr zu fordern, außer ruhig stehen zu bleiben.

Als wir dann für Mila endlich einen passenden Sattel gefunden haben, nahm ich mir auch hier die Zeit, sie in allen Gangarten an Sattel und Gurtdruck zu gewöhnen. Ich hatte mich dazu entschieden, Mila am Anfang mit Sidepull einzureiten. Dies wirkt im Prinzip genauso wie ein Knotenhalfter, an dem man rechts und links Zügel befestigen kann, sitzt aber besser am Kopf. Für den Anfang wollte ich bewusst eine Zäumung, die nicht auf die sensible Zunge wirkt, sondern mit der ich im Zweifelsfall ihre Nase seitlich herum ziehen kann, ohne ihr Schmerzen zuzufügen. Der Umstieg auf eine Zäumung mit Gebiss soll erfolgen, wenn Mila die Grundsätze sicher verstanden hat.

Aus Sicherheitsgründen war es mir wichtig, so früh wie möglich an einer Möglichkeit zu arbeiten, Mila im Zweifelsfall anhalten zu können, noch bevor ich Mila vorwärts reite. Man sagt, dass Pferde im Zweifelsfall immer besser auf eine laterale, also seitliche Einwirkung reagieren. Ein Pferd, dass nicht anhalten will, wird man daher mit beiden Zügeln nicht unbedingt zum Stehen bringen. Daher wird gerade im Westernbereich viel Wert auf den „One-Rein-Stop“ gelegt. Milas und meine allererste Reitübung bestand daher darin, diesen vom Boden aus zu üben, und dies dann in den Sattel zu übertragen. Dafür ging ich vom Boden aus mit Mila folgenden Ablauf durch:

  • Seitliches Biegen des Halses über den Zügel.
  • Klopfen mit dem Steigbügel in der hinteren Schenkelposition, bis Mila mit der Hinterhand weicht.
  • Klopfen mit dem Steigbügel am Gurt, während ich Mila aus der Vorhandwendung in eine Vorwärtsbewegung entlasse.
  • Anhalten durch erneutes Aufnehmen des inneren Zügels und Biegen des Halses.
  • Zwischendurch Desensibilisierung durch zufällige unspezifische Bewegungen des Steigbügels, damit Mila nicht jede Berührung ihres Rumpfes als Aufforderung missversteht.

Diesen Ablauf habe ich mit Mila immer wieder von beiden Seiten wiederholt, bis er ihr vertraut war.

Dann kam der Moment des Aufsteigens. Wenn ich mich vorher ohne Sattel auf Mila gesetzt habe, habe ich eine Aufstiegshilfe genutzt. Dafür verwendete ich einen mit Teichfolie beklebten Styroporwürfel, den man leicht selbst basteln kann. Das Reitergewicht ist für junge Pferde so ungewohnt, dass sie sich durch seitliche Schritte neu ausbalancieren müssen. Dabei darf dann auf keinen Fall die Gefahr bestehen, dass sie sich verletzen, weil sie in eine Trittleiter hinein treten.

Das Aufsteigen mit Hilfe der Steigbügel ist eine eigene Lektion, bei der das Pferd ausnahmsweise tatsächlich auf Druck mit Gegendruck reagieren muss, indem es sich gegen den einseitigen Zug am Sattel lehnt.

Gerade hier gilt, was eigentlich für die gesamte Ausbildung des Pferdes wichtig ist: Je kleinschrittiger man vorgeht und je mehr Zeit man sich nimmt, jeden dieser kleinen Schritte dem Pferd verständlich zu vermitteln, umso schneller kommt man letztlich voran.

Mein Mann war dann dabei, als ich mit vielen Wiederholungen das Aufsteigen erst mit Aufstiegshilfe, dann ohne geübt habe. Aufsteigen, erst einmal nur über den Sattel legen, ganz viel kraulen und loben, wieder runter. Eine kleine Runde zur Entspannung machen, dann wiederholen. Irgendwann das Bein über die Kruppe schwingen, kraulen, loben und wieder absteigen. Nicht vergessen, dies von beiden Seiten zu üben. Annäherung und Rückzug durch Auf- und Absteigen. Und dabei die ganze Zeit intensiv das Pferd beobachten. Was sagt die Kopfhaltung, was die Ohren, wie fühlt sich der Körper und die Muskulatur an? Mila machte den Eindruck, dass ihr die ganze Situation leicht suspekt war, sie sich aber in unserer Gesellschaft sicher genug fühlte um zu versuchen, alles richtig zu machen.

Ich habe mich dabei sehr an meinem Bauchgefühl orientiert. Wäre Mila schlecht drauf oder allgemein unruhig gewesen, so hätte ich das Ganze auf einen anderen Tag verschoben. So übten wir mit Mila das Aufsteigen mit Sattel, bis es nicht mehr ganz so neu und suspekt schien, und nutzten dann einen deutlich entspannten Moment als Abschluss.

Beim nächsten Mal kamen wir dann auf unsere One-Rein-Stop Vorbereitung zurück. Wieder übte ich es zuerst vom Boden, der Ablauf war Mila ja jetzt schon vertraut. Dann ein langsames Aufsteigen mit mehreren Anläufen, bis ich wirklich im Sattel saß, nicht nur über den Sattel lehnte. Auch das war gleich vertrauter als beim letzten Mal. Dann ging ich vorsichtig weiter als beim letzten Mal, indem ich die Punkte, die wir unten unmittelbar vorher geübt hatten, von oben wiederholte. Erst nur ein Biegen des Halses, wobei ich mich zuerst mit einer leicht seitlichen Stellung zufrieden gab, um dann bei Wiederholung mehr Biegung zu fordern. Dann die Verknüpfung von Biegen des Halses und Weichen der Hinterhand. Und dann der „Wechsel auf die andere Seite“, der unerwarteter Weise nicht bedeutete, dass Mila und ich die Seiten wechselten. Nein, ich blieb an Ort und Stelle sitzen, aber wollte jetzt eine Biegung zur anderen Seite. Das ist verwirrender, als wir Menschen meinen, Mila musste erst einmal umdenken. Und dann, nach nicht ganz 2 Minuten im Sattel, fing Mila an zu gähnen. So viele neue Eindrücke, so viel Nachdenken, wie bei uns früher in der Fahrschule. Höchste Zeit also, die heutige Einheit positiv zu beenden.

Ich war überglücklich damit, wie Mila mit gemacht hatte. All die vielen Puzzleteile, die ich so lange mit Mila einzeln erarbeitet hatte, fingen jetzt an, ein Gesamtbild zu ergeben. In vielen kleinen Schritten hatte ich dies vorbereitet, und Mila hat es mir gedankt, indem sie weder mit Angst noch mit Überforderung noch mit Ablehnung reagiert hat, sondern bemüht war, mich in dieser neuen Situation richtig zu verstehen. Es war für Mila mental anstrengend, aber sie hat angefangen, die Lektionen der Bodenarbeit in diese neue Reitsituation zu übertragen.

Und beim nächsten Mal würden wir dann auch wirklich vorwärts reiten 🙂

An den Lieblingsstellen gekrault werden ist immer gut.

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